Christsein unter Druck
Wenn sich ein Mensch in einer schwierigen Situation befindet, sagt man: „Er steht total unter Druck!“ jemand sehnt sich nach einer solchen Lage, jeder Mensch möchte sein Leben glücklich und entspannt leben. Aus dieser Tatsache heraus ergeben sich Fragen, auf die wir Antworten in Gottes Wort suchen.
Druck ist gefährlich
Im ersten Semester des Chemiestudiums lernt man die lebenswichtige Regel: „Wenn bei Reaktionen Gase entstehen, müssen diese abgeleitet werden können.“ Sonst kann einem leicht die ganze Apparatur um die Ohren fliegen. Das gilt auch im menschlichen Leben: Steht der Mensch zu sehr unter Druck, ist sein Leben gefährdet. Als Gott dem Brudermörder Kain seine Strafe verkündigt, klagt Kain: „Meine Strafe ist zu schwer, als dass ich sie tragen könnte.“ (1Mo 4,13). – In einer vergleichbaren Situation befindet sich auch Jesus vor seiner Verhaftung. Anders als Kain wird er jedoch nicht durch eigene Schuld in diese Situation gebracht. Seine göttliche Mission besteht darin, durch seinen Tod am Kreuz einen Ort der Erlösung für alle Sünder zu schaffen. Jesus fürchtet, diesem Druck nicht gewachsen zu sein. So bittet er Gott darum, den Druck von ihm zu nehmen und ihm das Leiden zu ersparen: „Nimm diesen Kelch von mir!“ (Mk 14,36).
Druck ist nicht unnormal
Gerät ein Christ unter Druck, stellt sich die Frage, ob nicht eigene Schuld die Ursache dafür sei. Seit der Vertreibung aus dem Paradies wird Leid oft als Strafe für begangene Schuld betrachtet. Man spricht vom „Tun-Ergehen-Zusammenhang“. Es ist verhängnisvoll, aufgrund dieser Regel JEDES Leid auf eine begangene Schuld zurückzuführen. Jesus deckt anhand eines Blindgeborenen diesen Fehler auf: „Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm“ (Joh 9,3). Für Klaus Berger ist eine von neun Ursachen für Leid das „Leiden des Gerechten als Teilhabe am Widerspruch der Menschen gegen Gott. […] Wer zu Gott gehört, muss zwangsläufig um Gottes willen leiden“. – Genauso schreibt es auch Petrus an leidende Christen: „Lasst euch durch die Hitze nicht befremden, die euch widerfährt zu eurer Versuchung, als widerführe euch etwas Seltsames“ (1Petr 4,12). Leid ist nicht immer Strafe für begangene Schuld, sondern kann auch Folge gelebter Nachfolge sein. Axel Hambraeus schreibt: „Es gab Leiden, die erlitten werden mussten. Es gab Böses, durch das man hindurch musste. Warum, verstand niemand. Aber es musste geschehen. Der Menschensohn musste viel leiden. Warum dann nicht wir?“
Druck kann festigen
Im Militär gilt: „Was uns nicht umbringt, macht uns hart!“ Das klingt nicht „schön“, der Apostel Paulus jedoch vertritt eine ähnliche Position: „Wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen“ (Röm 5,3ff). – Druck kann den Erdboden festigen; so wird er verdichtet und belastbarer. Paulus ist der Überzeugung, dass ein Christ durch schwierige Lebenssituationen ebenso gefestigt wird. Konrad Adenauer sagt: „Für die Entwicklung des Menschen sind die bitteren Stunden unerlässlich.“ Unwillkürlich denkt man dabei an das Sprichwort „Not lehrt beten“! Christsein unter Druck kann den Menschen näher zu Gott bringen.
Man darf jedoch aus dieser Tatsache keinen Automatismus machen. Manche Gottesbeziehung ist unter zu starkem Druck zerbrochen (vgl. Saul, Salomo, Judas).
Druck ist häufig vermeidbar
Petrus tröstet mit der Zusage, dass der im Leiden mit Christus verbundene Mensch auch in der Herrlichkeit mit ihm verbunden sein wird (vgl. 1Petr 4,13). Aber diese Verheißung gilt nur für Leid, das sich im Zusammenhang der Nachfolge ergibt: „Niemand aber unter euch leide als ein Mörder oder Dieb oder Übeltäter oder als einer, der in ein fremdes Amt greift. Leidet er aber als ein Christ, so schäme er sich nicht“ (1Petr 4,15f). Viele „Druck-Situationen“ könnten uns erspart bleiben, wenn wir wirklich nach Gottes Wort leben würden. Das gilt nicht nur für die erwähnten Entgleisungen: Wie oft führen Unversöhnlichkeit, Lieblosigkeit, Egoismus und Starrköpfigkeit in den Gemeinden dazu, dass Schwestern und Brüder zerbrechen oder vorher ihr „Heil“ in der Flucht suchen. Dieser zerstörende Druck ist nicht gottgewirkt, sondern hausgemacht – und damit vermeidbar! Wenn wir nach den Grundregeln Gottes leben: vergeben, weil Gott uns vergibt (Mt 6,12); lieben, weil Gott uns liebt (1Joh 4,19); versöhnen, weil Gott uns versöhnt (2Kor 5,18ff); einander tragen und ertragen, weil Gott uns trägt und erträgt (Gal 6,2), dann wird unser Miteinander in Ehen, Familien, Gemeinschaften und Gemeinden viel „entspannter“ sein.
Druck braucht Entlastung
Nicht jeder Druck kann vermieden werden: Die Konfirmandin, die aufgrund ihres Glaubens von den Mitschülern auf übelste Weise gemobbt wird, ist realem Druck ausgesetzt. Der altgewordene Bruder, der von seiner Familie am Besuch der Bibelstunde gehindert wird, leidet. Die missionarisch aktive Schwester, die aufgrund ihrer offensiven „Straßenmission“ in die Psychiatrie gebracht wird, kann sich nicht aus ihrem vergitterten Zimmer wegträumen.
Wo unvermeidbarer Druck herrscht, ist Entlastung buchstäblich „Not-wendig“. Der Einzige, der diese Not wenden kann, ist Gott selbst, der uns in Jesus Christus begegnet. Er spricht zu allen, die unter Druck stehen: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken“ (Mt 11,28). Jesus will uns Entlastung und Entspannung schenken. Das bedeutet nicht, dass er uns sofort jede Last und jeden Druck abnimmt. Aber er selbst stemmt seine starken Schultern dagegen an. Johann Albrecht Bengel sagt: „Gott hilft uns nicht immer am Leiden vorbei, aber er hilft uns hindurch.“ Wer sich so auf Gott verlässt, kann wie Paulus bekennen: „Ich kann niedrig sein und kann hoch sein, […] Überfluss haben und Mangel leiden; ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht“ (Phil 4,12f).
Druck ist vergänglich
Als mein Mentor Friedmar Ott einmal mehrere ältere Damen auf dem Rücksitz seines kleinen Autos mitnahm, entstand dort bedrückende Enge. Besorgt fragte er: „Geht’s denn?“ Daraufhin lächelte eine der Damen gequält und antwortete: „Es ist ja nicht für ewig!“
Druck wird erträglich, wenn man weiß, dass er der Entspannung weicht. So schreibt Paulus: „Darum rühmen wir uns euer […] wegen eurer Geduld und eures Glaubens in allen Verfolgungen und Bedrängnissen […] Denn es ist gerecht bei Gott, mit Bedrängnis zu vergelten denen, die euch bedrängen, euch aber, die ihr Bedrängnis leidet, Ruhe zu geben mit uns, wenn der Herr Jesus sich offenbaren wird“ (2Thess 1,4ff u.ö.). Wenn Christus wiederkommt, dann wird jeder auf Christen lastende Druck einer Herrlichkeit weichen, die wir im Hier und Jetzt nur bruchstückhaft erahnen können. Bewegend ist die Inschrift auf dem Grabstein des dänischen Philosophen Sören Kierkegaard, der aufgrund seines Kampfes für eine bibeltreue Theologie ständig unter Druck stand: „Noch eine kurze Zeit, dann ist‘s gewonnen, dann ist der ganze Streit in nichts zerronnen. Dann werd ich laben mich an Lebensbächen und ewig, ewiglich mit Jesus sprechen!“
Gerd Wendrock
Gemeinschaftspastor
Bezirk Freiberg
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